Nicht Hausarzt, Facharzt für Primärmedizin!

Politik und KV-Funktionäre haben den Beruf „Hausarzt“ sehenden Auges heruntergewirtschaftet. Darin liegt die eigentliche Ursache für den Hausarztmangel.

Als Ausbildungspraxis sind wir mit unseren Studenten ständig im Gespräch und wissen, dass die Reputation des Berufs „Hausarzt“ bei jungen Medizinern schlecht ist. Und das hält sie davon ab, diesen Beruf zu ergreifen. Um hier nachhaltig und effektiv Verbesserungen herbeizuführen, wären erhebliche Einschnitte in unser ambulantes Gesundheitssystem notwendig, was zwar seitens Politik und KVen erkannt, aber aus einer Mischung aus Mutlosigkeit und Lobbyhörigkeit tunlichst vermieden wird.

Stattdessen soll der existierende und sich nach allen Prognosen weiter verschärfende Mangel an primärärztlich tätigen, sogenannten Hausärzten mit Maßnahmen wie „Landarztquoten“ oder einmaligen Geldprämien wie „Niederlassungsförderungen“ kaschiert werden, die mittel- und langfristig das Berufsbild „Hausarzt“ jedoch nur noch weniger attraktiv machen.

Mittelmäßige Abiturienten (die per se nicht ungeeignet für den Arztberuf sind!) sollen einen Knebelvertrag eingehen: Medizinstudienplatz gegen die Verpflichtung, eine Landarzttätigkeit aufzunehmen. Hier wird die fehlende Attraktivität des Berufsbildes „Hausarzt“ amtlich zementiert und für jeden erkennbar. Die guten Abiturienten werden „Facharzt“, die schlechteren dürfen „nur Hausarzt“ werden. Welcher kurzsichtige Politiker denkt sich so etwas nur aus? Mit einem einmaligen Lockgeld von maximal 55.000 Euro – dem Quartalsgewinn einer halbwegs laufenden Facharztpraxis – sollen Allgemeinmediziner für ein Arbeitsleben lang als Arzt auf dem Land in Brandenburg gewonnen werden.

„Hausarzt“ vs. „Facharzt“ – eine antiquierte Trennung

Doch fangen wir ganz vorne an: Mit der antiquierten begrifflichen Trennung von „Hausarzt“ und „Facharzt“ beginnt das Missverständnis. Auch der Facharzt für Allgemeinmedizin oder Innere Medizin hat ja eine lange Facharztausbildung hinter sich gebracht, eine Facharztprüfung bestanden. Er hat sich spezialisiert auf die ärztliche Universalität, auf die primäre Einschätzung und Behandlung von Patienten, die sich mit ihrem Anliegen erstmalig ärztlich vorstellen.

Bekanntermaßen kann der Hausarzt (mindestens) 90 Prozent dieser Anliegen kompetent und abschließend lösen. Nun darf er sich aber im KV-Sprech nicht als Facharzt, sondern als „Hausarzt“ bezeichnen lassen. Die Universalität wird offenbar nicht als Spezialisierung, nicht als Fach anerkannt. Was hat der Begriff „Hausarzt“ im Jahr 2023 für eine Bedeutung? Hausbesuche? Haus- und Hofarzt? Auf der Suche nach Definition und Ursprung des Begriffes „Hausarzt“ findet man: „Arzt, den man bei gesundheitlichen Beschwerden meist zuerst aufsucht, der ggf. auch Hausbesuche macht“. Somit ist eine mit 24,35 Euro plus ca. 3 Euro Wegegeld hoffnungslos unterfinanzierte, zeitaufwändige und somit unattraktive Tätigkeit Namensgeber für unseren Beruf, die dem „Facharzt“ offenbar nicht zugemutet werden soll.

Die Bezeichnung „Hausarzt“ gehört daher abgeschafft, sie ist antiquiert und (leider) negativ konnotiert. Patienten verbinden damit einen Arzt, der immer für sie da ist, sich um alles – auch um Kleinigkeiten und Banalitäten und gerne beliebig oft im Quartal – kümmert. Und Aufträge von den „übergeordneten“ Fachärzten ausführt. Welcher Hausarzt kennt es nicht: „Ich brauche für meinen Kardiologen die Cholesterinwerte. Wann kann ich bei Ihnen zum Blutabnehmen kommen?“

Also: Wir sind Fachärzte für Allgemeinmedizin, Fachärzte für Innere Medizin, Spezialisten für Primärmedizin. Aber keine „Hausärzte“. Als interdisziplinär ausgebildeter Generalist muss der Hausarzt im Laufe seines Berufslebens lernen, dass er – gesteuert durch den EBM – immer weiter in die Rolle eines unkompliziert verfügbaren Sozialarbeiters, Verwalters und Gesundheitserziehers gedrängt wird. Eine während der klinischen Facharztausbildung mühsam angeeignete Expertise in technischen-medizinischen Untersuchungen, Palliativmedizin, Schmerztherapie, kleine Chirurgie etc. kann er nicht anwenden, da diese meist gar nicht oder nicht annähernd kostendeckend bezahlt wird und es dafür separate Facharztgruppen gibt. So verlernt er diese Expertise wieder und muss sich stattdessen mit Patientenverwaltung (DMP), Bescheinigungen (AU), Koordinierung von Multimorbidität, Erstellung von Medikamentenplänen und Ausfüllen von Anträgen zufriedengeben.

Wo sind die attraktiven Alleinstellungsmerkmale?

Der deutsche „Hausarzt“ wird so immer weniger Mediziner und ist mit seinem eingeschränkten medizinischen Spektrum außerhalb unseres Gesundheitssystems kaum noch einsetzbar. Selbst in der Weiterbildung obligat zu erlernende Fähigkeiten wie Duplexsonografien darf ein internistisch ausgebildeter Hausarzt nicht durchführen bzw. bekommt er nicht honoriert. Dafür gibt es seit neuestem Geld für die Nichtdurchführung dieser Leistung und die telefonische Organisation eines Termins zum Duplex bzw. Akuttermin beim „Facharzt“. Das ist nicht sexy, das kann unmöglich das Berufsziel von Medizinstudenten sein.

Der Hausarzt benötigt analog zum Facharzt attraktive Alleinstellungsmerkmale bzw. exklusive Rechte, ärztliche Handlungen durchzuführen, die nur ER durchführen und abrechnen kann. Statt Herzkatheter, MRT, Duplex oder Dialyse hätte er zum Beispiel in einem – ökonomisch zweifelsfrei sinnvollen – obligaten Primärarztsystem das Recht und die Pflicht, die Patienten zuerst zu sehen und, falls in seinem Ermessen notwendig, die Patienten den nachgeordneten Fachärzten weiterzuleiten. Er wäre – wie fast überall in Europa – Chef im ambulanten Gesundheitssystem und nicht Notnagel. Er hätte eine ganz konkrete, attraktive und festgeschriebene Rolle im System.

Nicht zuletzt das Thema Geld: Hartnäckig behaupten die KVen, der Hausarzt verdiene ja gar nicht so schlecht. Das mag sein, aber: Der Facharzt verdient in der Regel viel besser. Die Privateinnahmen werden seitens der KV nämlich standhaft ausgeklammert, obwohl diese teilweise bis zu 50 Prozent des Gesamteinkommens eines Facharztes betragen. So kommt es, dass umsatzstarke Facharztpraxen Hausärzte anstellen können. Ein Hausarzt, der finanziell in der Lage wäre, einen Facharzt anzustellen, ist mir dagegen nicht bekannt. Resultat: Hausarztpraxen – insbesondere auf dem Land – will niemand geschenkt, Facharztpraxen dagegen gehen für etliche hunderttausend Euro am Ende eines höchst auskömmlichen Berufslebens über den Tisch. All das ist auch für junge Ärzte sicht- und fühlbar. Und wird mit Anerkennung, Wertschätzung und Erfolg assoziiert.

Nicht ohne deutliche Umverteilung von Geld!

Das Berufsbild des Haus- bzw. Primärarztes hätte alle Voraussetzungen, erstrebenswert und hochattraktiv zu sein. Wir Hausärzte kennen alle die menschlich berührenden und medizinisch spannenden, fordernden, abwechslungsreichen und erfüllenden Momente in unserem Beruf. Wann findet man endlich den Mut, den Hausärzten ganz verbindlich und exklusiv eine attraktive Rolle im Gesundheitssystem festzuschreiben? Wann wird die generalistische Kompetenz, weswegen junge Ärzte Hausarzt werden wollen, endlich nicht nur mit schönen Worten wertgeschätzt? Um es klar zu sagen: Natürlich wird dies nicht ohne eine deutliche Umverteilung von Geldern innerhalb der niedergelassenen Ärzteschaft zu machen sein. Was also muss konkret getan werden, um junge Ärzte mittel- und langfristig für den Beruf „Hausarzt“ zu gewinnen? Die drei wichtigsten Punkte: